Es ist heute einhellige Auffassung, dass sich aus § 86 Abs. 1 HGB ein Wettbewerbsverbot für den Handelsvertreter / Versicherungsvertreter gegenüber seinem Unternehmen herleiten lässt. Danach hat er jeden Wettbewerb zu unterlassen, der geeignet ist, die Interessen seines Geschäftsherrn (Unternehmer) zu beeinträchtigen.
Darüber hinaus ist ein derartiges Wettbewerbsverbot für den Handelsvertreter auch in nahezu jedem Handelsvertretervertrag / Agenturvertrag enthalten.
Ein Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot macht den Handelsvertreter / Versicherungsvertreter in aller Regel gegenüber dem Unternehmer schadensersatzpflichtig.
Obwohl dies bekannt ist, schrecken viele Vertreter nicht davor zurück, noch während ihres laufenden Vertragsverhältnisses, von ihnen erworbene Kunden "umzudecken"- nicht selten in der Erwartung, durch Neugeschäfte als Vertreter für ein anderes Unternehmen oder freier Makler frische Provisionen zu erhalten.
Das diesbezügliche Vorgehen reicht von naiv (hier wird dann die Kündigung des Versicherungsnehmers vom eigenen Fax, E-Mail versendet )bis ausgeklügelt (hier wird ein Strohmann vorgeschoben man selbst ist lediglich stiller Gesellschafter der von den Umsätzen profitiert).
In beiden Fällen halten die Vertreter ihr Vorgehen für relativ "sicher". Da die umgedeckten Kunden ein Kontaktverbot (siehe zu diesen Gefahren unseren Blogbeitrag: Vorformulierte Kontaktverbote) verhängt haben, oder auch sonst nichts sagen würden.
Dabei wird aber verkannt, dass das Unternehmen einen umfassenden Auskunftsanspruch gegen den Handelsvertreter haben kann.
Voraussetzung des Auskunftsanspruchs
Anspruch auf Auskunft besteht, wenn der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung besteht und ein Schaden wahrscheinlich ist.
Begründet wird der Auskunftsanspruch damit, dass ein solcher sich bereits unmittelbar aus der Berichtspflicht des § 86 Abs. 2 HGB , § 666 BGB herleiten lässt. Zudem sei eine Auskunftsverpflichtung auch nach Treu und Glauben herzuleiten.
Wann liegt ein begründeter Verdacht vor?
Die Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Man kann aber konstatieren, wenn in einem kurzen Zeitraum auffällig viele (vom Handelsvertreter vermittelte und betreute Kunden) das Unternehmer verlassen (Storno), hier ein begründeter Verdacht anzunehmen sein wird.
Welcher Zeitraum und welche Vielzahl dafür notwendig ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Insgesamt wird es darauf ankommen, ob es eine auffällige Anzahl an Stornierungen im Vergleich zu den Vorjahren gab- ohne das andere Gründe (z.B. Preiserhöhung des Produkts) dafür ursächlich sein könnten.
Auch ist die Hürde für den Unternehmer nicht besonders hoch, einen entsprechenden Weggang der Kunden gerichtlich zu beweisen.
Denn bereits zahlreiche Gerichte haben entschieden:
"Um den Verdacht zu belegen, darf der oder die Unternehmer*in die Namen der Kund*innen, die aus seiner oder ihrer Betreuung ausgeschieden sind, sowie die Art der betroffenen Verträge in das gerichtliche Verfahren einführen und das Gericht
diese Angaben verwerten. Dem steht weder das Recht der Kund*innen auf informationelle Selbstbestimmung noch das Datenschutzrecht entgegen."
LArbG Berlin-Brandenburg 21 Sa 390/22
Wahrscheinlichkeit des Schadens
Auch die Wahrscheinlichkeit eines Schadens ist problemlos nachzuweisen. Denn verletzt ein Handelsvertreter während der Laufzeit des Handelsvertretervertrags das Wettbewerbsverbot oder sonst die Pflicht zur Interessenwahrung, macht er sich regelmäßig schadensersatzpflichtig. Er schuldet dem Unternehmen dann den Ersatz des Gewinns, der diesem durch die verbotswidrigen Handlungen entgangen ist (vergleiche BGH 26. September 2013 – VII ZR 227/12 – Rn. 15).
Die Reichweite des Auskunftsanspruches und dessen Grenzen
Der Anspruch auf Auskunft umfasst alle Angaben, die für eine Bezifferung des Schadens, zumindest aber für dessen Schätzung nach § 287 ZPO notwendig sind.
Darüber hinaus haben Handelsvertreter – unabhängig von einer Vertragspflichtverletzung – dem Unternehmer im Rahmen ihrer Berichtspflicht nach § 86 Absatz 2 HGB und § 666 BGB Auskunft über alles zu geben, was für die Geschäftstätigkeit erforderlich ist. Das umfasst alle Auskünfte zu den Umständen, die für weitere Abschlüsse von Bedeutung sind, einschließlich der allgemeinen Marktlage. Die Pflicht besteht auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses fort, soweit es um Umstände geht, die während der Vertragslaufzeit entstanden sind
Das können sein:
Angaben dazu welche Finanzdienstleistungsprodukte, insbesondere Kapitalanlagen, Immobilien, Finanzierungen, Versicherungen, Bausparverträge und Beteiligungen der Handelsvertreter selbst oder über
Dritte im maßgeblichen Zeitraum an Kunden/Versicherungsnehmer unter Umgehung des Unternehmens vermittelt hat, wobei die Auskunft folgende Angaben zu enthalten hat:
bei allen Produkten
- Name und Anschrift des Produktgebers,
- Name und Beschreibung des abgeschlossenen Produkts/der Investition,
- Antragsdatum,
- Datum des Vertragsabschlusses,
- eventuelle nach Antragstellungen erfolgende Änderungen am vermittelten Geschäft unter Angabe des Datums und des Grunds der Änderung,
- eventuelle nach Antragstellung vorgenommene Stornierung/Widerruf des vermittelten Geschäfts unter Angabe des Datums und des Grunds der Stornierung;
bei Versicherungen zusätzlich
- Tarif und Sparte,
- Höhe des monatlichen bzw. jährlichen Beitrags,
- Laufzeit;
bei Kapitalanlagen zusätzlich
- Höhe des vom Kunden investierten Betrages in die Kapitalanlage/Beteiligungssumme;
bei Immobilien zusätzlich
- Höhe des Kaufpreises ohne Nebenkosten, Datum des notariellen Kaufvertrags;
bei welchen Kunden der Handelsvertreter selbst oder über Dritte, im maßgeblichen Zeitraum die Kündigung, Beitragsfreistellung bzw. Beitragsreduzierung, den Widerruf oder eine anderweitige Auflösung eines über den Unternehmer vermittelten Vertrages veranlasst hat, wobei die Auskunft folgende Angaben zu enthalten hat:
bei allen Produkten
- Kundenname,
- Adresse des Kunden,
- Versicherungsscheinnummer/\/ertragsnummer,
- Angaben zur Art der veranlassten Änderung wie Kündigung, Betragsfreistellung bzw. -reduzierung, Widerruf oder anderweitige Auflösung;
bei Versicherungen zusätzlich
- Tarif und Sparte;
bei Immobilien zusätzlich
- Höhe des Kaufpreises ohne Nebenkosten;
welche Kunden der Versicherungsvertreter dazu veranlasst hat, die Betreuung durch das Unternehmen zu beenden bzw. hierzu Hilfestellung geleistet hat und zwar unter Angabe des vollständigen Namens des Kunden.
Die Grenze findet der Auskunftsanspruch vor allem da, wo die Informationen für den Unternehmer und der Bezifferung seines Schadensersatzanspruchs unerheblich sind. Das sind etwa etwaige Informationen darüber, welche Gewinne der Handelsvertreter durch die Umdeckung erwirtschaftet hat.
Auch sind Auskünfte dann nicht zu erteilen, wenn es dem Vertreter in Abwägung unzumutbar ist und / oder sein berufliches Weiterkommen ernsthaft gefährdet ist.
Fazit
Durch den umfassenden Auskunftsanspruch kann der Unternehmer relativ einfach seinen Schadensersatzanspruch durchsetzten. Handelsvertreter sollten sich nicht -auch nicht durch gute Kundenbeziehungen- in Sicherheit wiegen. Denn es dürfte gar nicht darauf ankommen, was oder was nicht die Kunden mitteilen würden.
Zu beachten ist, dass die oben dargestellten Pflichten lediglich die Zeit betreffen, in der das Vertragsverhältnis noch bestanden hatte.
Sollte jedoch auch ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart worden sein, würde diesbezüglich wohl das selbe gelten.
Sofern Kunden von sich aus einen Betreuerwechsel wünschen, sollten ausscheidende Handelsvertreter warten bis das Vertragsverhältnis ordentlich beendet ist, bevor sie Kunden "umdecken" oder auch nur konkrete Hilfestellungen geben.
Wenn die Kunden nicht abwarten wollen, könnte der Vertreter noch eine Zustimmung des Unternehmens einholen. Ob eine solche erteilt wird, dürfte jedoch fraglich sein.
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