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Der Rücktritt wegen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht und seinen Hürden in der Praxis

Der Versicherer (VR) hat ein berechtigtes Interesse daran, noch vor Vertragsabschluss zu erfahren, ob und welche gefahrerhebliche Umstände hinsichtlich des zu versichernden Risikos vorliegen, damit er adäquat seine Prämien kalkulieren oder entscheiden kann, ob er den Vertrag überhaupt eingehen  oder bestimmte Risiken ausschließen möchte.

 

Als primäre Informationsquelle dienen hierzu die Angaben des Versicherungsnehmers (VN) und /oder unter bestimmten Voraussetzungen der versicherten Personen, Versicherungsvermittler.

 

Kommt es hier zu Falschangaben, stehen dem VR grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten (Kündigung, Vertragsanpassung, Rücktritt oder Anfechtung) zur Verfügung. Die häufigst gewählte ist der Rücktritt. 

In diesem Beitrag wollen wir die Voraussetzungen eines wirksamen Rücktritt und die typischen Hürden in der (Gerichts-)Praxis beleuchten um gerade jüngeren Sachbearbeitern eine Hilfestellung und ein Grundverständnis für die Regelungen der §§ 19, 21 VVG mitzugeben.  

Die Ausgangslage Ihrer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzungsprüfung

Gerade in der Personenversicherung (Krankenversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung) wird eine VVA- Prüfung erst dann eingeleitet, wenn der Versicherungsnehmer einen konkreten Leistungsfall gemeldet hat.

In der Regel wird der VR  im Rahmen der Prüfung einerseits die Angaben des VN im Versicherungsantrag (z.B. die Gesundheitsfragen) zugrundelegen, andererseits sich weitere Informationen von Dritten (Vorversicherer, behandelnde Ärzte, Behörden) einholen und diese mit den Angaben des VN vergleichen.

Stellt der VR dann fest, dass eine objektive Falschangabe vorliegt (z.B. hatte der VN eine diagnostizierte Erkrankung im maßgeblichen Zeitraum nicht angegeben), ist handeln und die sorgfältige Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen eines wirksamen Rücktritts das Gebot der Stunde. 

 

ACHTUNG: Der Rücktritt muss binnen 1 Monats ab Kenntnis der Falschangabe erklärt werden.

 

Voraussetzung und Inhalt der Anzeigepflicht

Als ersten Prüfungsschritt muss sich der VR darüber Klarheit verschaffen - will er vor Gericht nicht "baden gehen", ob überhaupt eine Anzeigepflichtverletzung vorliegt.

 

Hierbei ist zunächst zu beachten, dass § 19 Abs.1 S. 1 VVG die Anzeigepflicht des VN auf schriftlich gestellte Fragen des VR beschränkt.

 

Grundsätzlich ist der Versicherungsnehmer als Vertragspartei des VR Adressat der Anzeigepflicht.

 

Bei Versicherungen auf Fremde Rechnung kommen aber auch die Angaben bzw. das Wissen der versicherten Person in betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass auch diese ausdrücklich vom VR gefragt worden ist. Bezüglich der Lebensversicherung und Krankenversicherung ist dies unzweifelhaft im Gesetz normiert (vgl. §§156, 193 Abs.2 VVG.

 

In der Praxis ist es jedoch nicht unüblich, dass ein Versicherungsvermittler dem VN bei der Antragstellung unterstützt. 

Die typischen Problemfelder werden nachfolgend aufgeführt:

Was wenn die Fragen nicht vom Versicherer, sondern vom Versicherungsmakler gestellt werden?

Der eindeutige Wortlaut des § 19 Abs. 1. S.1 VVG stellt klar, dass nur Fragen des Versicherers (in Textform) eine Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers hervorrufen können.

Eine derart enge Auslegung (so zum Beispiel LG Hagen r+s 2010, 276) dürfte aber weder der Praxis gerecht werden noch den Schutzzweck der Norm genügen.

 

Vielmehr ist entscheidend, dass der VR dem VN durch die Fragen deutlich macht, welche Umstände er als gefahrerheblich ansieht. Damit spielt es keine Rolle ob sie aus der Feder des VR oder des Versicherungsmaklers kommen. Es muss jedoch sichergestellt sein und für den VN erkennbar, dass die Fragen dem Makler vom VR zur Verfügung gestellt worden sind oder der VR sich die Fragen des Maklers zueigen gemacht hat.

 

Es ist zu empfehlen, auf dem Fragenkatalog einen Hinweis anzubringen, dass sich der VN bewusst ist, mit der Beantwortung der Fragen seiner Anzeigepflicht gegenüber dem VR nachzukommen.

 

Was wenn die Fragen des Versicherers nicht in Textform gestellt worden sind?

Die Fragen sind zwingend in Textform zu stellen. Das hat sowohl eine Beweisfunktion als auch eine Dokumentationsfunktion. Es gilt § 126b BGB. Demnach muss die Erklärung in einer Urkunde oder in anderer zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneter Form abgegeben werden, in der die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht wird


Probleme gibt es mit den in der Praxis verwendeten Formularen in der Regel nicht.

 

Häufiger trifft man aber auf die Problematik, dass die Fragen vom Versicherungsvermittler vorgelesen und die Antworten eingetragen werden.

Dies steht nach weit überwiegender Auffassung dem Schriftformerfordernis nicht entgegen. Der VR muss jedoch in einem Prozess nachweisen, dass der VN bei gebotener Zeit und Ruhe die Fragen durchgehen konnte.

 

Demnach ist es ausreichend, dass der VN die vom Vermittler am Telefon ausgefüllten Fragen in seinem Laptop schreibt und dem VN im Nachgang den Fragenkatalog zur Unterzeichnung und Freigabe zusendet.

 

Ein weiteres Problemfeld ist oftmals die Blankounterschrift des VN.

Sofern der VN seinem Vermittler damit beauftragt die Fragen selbst zu beantworten, wird er sich nach Treu und Glauben auch die falschen Antworten zurechnen lassen müssen.

 

Schlussendlich ist auch regelmäßig im Streit, welche Voraussetzung erfüllt sein müssen, wenn der VN die Gesundheitsfragen über eine Internetplattformen ausfüllt?

 

Die Fragen müssen dem VN aufgrund der Dokumentationspflicht in verkörperter Form dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Fraglich ist hier dann vor allem, ob es ausreicht, dass die Fragen zum Download angeboten werden, oder der digitale Prozess (ähnlich wie bei der Widerrufsbelehrung) gestoppt wird, bis der Download durchgeführt worden ist (Zwangs-Download).

 

Der VR ist sicherlich gut beraten wenn er sicherstellt, dass der VN den Fragenkatalog runtergeladen hat. Daher empfiehlt es sich vorsichtshalber immer, die Fragen dem VN per Mail zuzuschicken.

 

Die Fragen müssen bestimmt und zulässig sein

Die Fragen des Versicherers müssen bestimmt und zulässig sein. Etwaige Zweifel bei dessen Auslegung gehen zu Lasten des VR. Insoweit gilt hier nichts anderes als bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen.

 

Die Fragen müssen auch zulässig sein, Zweifel an der Zulässigkeit könnten begründet sein, wenn sie etwa gegen das AGG verstoßen.

 

Zudem sind nur die Fragen relevant, die einen objektiven Gefahrenumstand betreffen, der nachvollziehbar für die Prämienkalkulation heranzuziehen ist.

Subjektive Gefahrenumstände und Konsequenzen für den Versicherer

Stellt man im ersten Prüfungsschritt fest, dass der VN oder eine ihm zurechenbare Person objektiv falsche Angaben zu den abgefragten Gefahrenumständen gemacht hat, folgt der zweite und wesentliche Prüfungsschritt in der VVA- der erfahrungsgemäß in der Praxis häufiger Schwierigkeiten bereitet.

 

Hier ist zu prüfen, ob der Versicherer, wenn er die wahren Gefahrenumstände gekannt hätte, den Vertrag nicht oder anders geschlossen hätte.

Dabei kommt es maßgeblich darauf an, von welchen Risikogrundsätzen sich der Versicherer gewöhnlich leiten lässt. Diese sind in einem Prozess darzulegen und ggf. zu beweisen.

Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn die gefahrenerheblichen Umstände offenkundig auf der Hand liegen.

In der Gerichtspraxis hat sich eine reichhaltige Kasuistik zu der Frage, ob die Gefahrerheblichkeit eines Umstands in Bezug auf ein bestimmtes versichertes Risiko »auf der Hand liegt« bzw. »offenkundig« ist entwickelt.

 

Beispiele:

Sparte Lebensversicherung

Im  Bereich der Lebensversicherung lässt sich feststellen, dass die Gefahrerheblichkeit bei einer koronaren Herzerkrankung mit Herzinfarkt und Herzinsuffizienz auf der Hand liegt bzw. offenkundig ist (vgl. OLG Karlsruhe r+s 1997, 38).

Auch  Adipositas mit Bluthochdruck und einem drastisch erhöhten Risiko für Herzkreislauferkrankungen  (vgl. OLG Saarbrücken VersR 2007, 193; OLG Karlsruhe NVersZ 2002, 499)  bei einer Leberschädigung aufgrund von Alkoholmissbrauch (vgl.BGH VersR 1990, 297).

 

Sparte Berufsunfähigkeit

Der Verdacht eines hochgradigen Wirbelsäulenleidens ist bei der Lebensversicherung dagegen nicht ohne weiteres als gefahrerheblich anzusehen, wohl aber bei der Berufsunfähigkeitsversicherung (vgl.OLG Düsseldorf VersR 2001, 1408; vgl. auch OLG Koblenz NVersZ 1999, 125).

 

Dort ist auch eine langjährig festgestellte und behandlungsbedürftige Erhöhung der Leberwerte regelmäßig gefahrerheblich ( vgl.BGH VersR 1994, 711, 712.).

Keine Anzeigepflicht besteht im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung dagegen bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen.

 

Sparte Krankenversicherung

Bei der Krankenversicherung sind krankhafte Veränderungen der Wirbelsäule und wiederholte Lumbagoanfälle als gefahrrelevant anzusehen (vgl.OLG Naumburg VersR 2001, 222; OLG Hamm r+s 1991, 104).

Auch  akute und schwere Atemnot, Bluthochdruck oder insulinpflichtige Diabetes mellitus.

Bei wiederholt diagnostizierter Erhöhung der Leberwerte kommt es im Allgemeinen nicht darauf an, ob der Arzt eine medikamentöse Behandlung für erforderlich hält. Die Gefahrerheblichkeit fehlt bei Krankheiten oder Beschwerden, die fast jeden Menschen von Zeit zu Zeit befallen und nach der Lebenserfahrung in kurzer Zeit ohne Folgen wieder vorübergehen.

 

Sparte Gebäudeversicherung

Bei der Gebäudeversicherung ist die Art der Nutzung gefahrerheblich (Vgl.BGH VersR 1989, 398) . Dort wurde verschwiegen, dass das Gebäude als Bordell genutzt wird.

Das Gleiche gilt für den Umstand, dass der Eigentümer des Gebäudes wegen Brandstiftung eine Freiheitsstrafe verbüßt hat.

Der Rücktritt vom Versicherungsvertrag

Kommt der Versicherer nach der oben dargelegten Prüfung zu dem Ergebnis, dass eine objektive Falschangabe eines Gefahrenumstandes vorliegt und bei dessen Kenntnis der Versicherungsvertrag nicht geschlossen worden wäre, kann grundsätzlich der Rücktritt erklärt werden. Denn nach dem Gesetzeswortlaut ist es nunmehr Sache des Versicherungsnehmers sich von den anzunehmenden Verschuldensformen (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) zu entlasten.

Die Formalien des Rücktritts

Frist & Form

Der Rücktritt muss binnen eines Monats schriftlich erklärt werden.

 

Begründung

Zudem müssen in der Rücktrittserklärung die Gründe des Rücktritts offengelegt werden. Zwar ist ein "Nachschieben" von Gründen möglich, dies aber nur während der oben genannten Frist.

 

Verjährung

Bei grober Fahrlässigkeit kann ein Rücktritt nicht mehr auf die Falschangabe gestützt werden, wenn seit Antragstellung 5 Jahre vergangen sind.

 

Belehrungspflicht

Der Rücktritt ist ausgeschlossen, wenn der Versicherer bei dem Antrag den VN nicht über die Rechtsfolgen einer Falschbeantwortung schriftlich aufgeklärt hat.

 

Bei Vorsatz oder Arglist beträgt die Verjährungszeit 10 Jahre.

 

Rechtsfolgen des Rücktritts

Die wichtigste Rechtsfolge des Rücktritts besteht darin, dass die Leistungspflicht des VR gem. § 21 Abs. 2 VVG rückwirkend entfällt, sofern nicht der VN nachweist, dass der verschwiegene Umstand weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht kausal ist.

Die Prämie steht dem VR dagegen gemäß § 39 abs 2 VVG bis zum Wirksamwerden der Rücktrittserklärung zu. Diese Besonderheit wird damit gerechtfertigt, dass die Leistungspflicht des VR im Hinblick auf nicht kausale Umstände bestehen bleibt.

Fazit

Der wirksame Rücktritt vom Versicherungsvertrag ist eines der schärfsten Schwerter, die dem Versicherer zur Verfügung stehen-weshalb er auch an besondereren Voraussetzungen geknüpft ist-

 

Eine sorgfältige Prüfung - in relativ kurzer Zeit- ist unabdingbar. Aber auch beim bejahen der Tatbestandsvoraussetzungen, ist der Rücktritt stets risikobehaftet. Denn dem VN werden zahlreiche (auch unredliche) Mittel zur Verfügung gestellt, einen Rücktritt abzuwenden. 

 

In der Gerichtspraxis ist immer wieder festzustellen, dass behauptet wird, dass  die Rücktrittserklärung gar nicht zugegangen sei oder aber der VN die Frage(n) falsch oder gar nicht verstanden habe. Außerdem wird er stets versuchen, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit herunterzuspielen.

Gerade hier sollten Versicherer sicherstellen, dass sie einen Anwalt beauftragen, der sich mit den Feinheiten auskennt und sich ohne weiteres in die Gedankenwelt des Versicherungsnehmers hinversetzten kann.

 

Gerne steht Ihnen Rechtsanwalt Marcus Scholz, Fachanwalt für Versicherungsrecht mit Rat und Tat bundesweit zur Verfügung. Über unser Leistungsangebot für die Versicherungswirtschaft können Sie sich gerne hier weiter informieren oder direkt mit uns in Kontakt treten.

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