Der Anwendungsbereich der Gefahrerhöhung §§ 23 bis 27 VVG
Grundsätzlich sind die §§ 23 bis 27 VVG auf sämtliche Versicherungszweige (Kfz-Versicherung, Haftpflichtversicherung, Gebäudeversicherung, Hausratsversicherung etc.) anwendbar.
Eine besondere Ausnahme besteht jedoch für die Krankenversicherung. Denn gem. § 194 Abs.1 S.2 VVG sind die Regelungen zur Gefahrerhöhung ausdrücklich nicht auf das private Krankenversicherungsrecht anzuwenden. Dahinter steht die Erwägung, dass die Krankenversicherung den VN auch vor nachträglich auftretenden Krankheiten absichern soll. Gleichzeitig soll verhindert werden, dass eine Veränderung der mit der allgemeinen Lebensführung des VN verbundenen Risikofaktoren als Gefahrerhöhung angesehen wird. Zudem ist dem Versicherer bei Antragsannahme bekannt, dass sich das Krankheitsrisiko mit zunehmenden Alter erhöht, weshalb hier eine "Gefahrerhöhung grundsätzlich mitversichert ist. Darüberhinaus wird der VR für den Ausschluss durch ein Prämienanpassungsrecht kompensiert (vgl. § 203 VVG).
Zudem bestehen "Sonderregelungen für die Transportversicherung (vgl. § 132 VVG), die Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung (§ 158 ggf. i.V.m. §178
VVG) sowie der Unfallversicherung (vgl. §181 VVG).
Wann liegt eine Gefahrerhöhung vor?
Der Begriff der Gefahrerhöhung wird in § 23 VVG nicht definiert. Die h.M. versteht darunter:
"die nachträgliche Schaffung eines Zustands erhöhter Gefahr, der auf eine solche Dauer angelegt ist, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Gefahrenverlaufs bilden kann und damit geeignet ist, den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern"
In der Rechtsprechung haben sich daher die nachfolgenden Merkmale herausgebildet:
So liegt eine Gefahrerhöhung vor, wenn ein Umstand unter Berücksichtigung möglicher Kausalverläufe die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Versicherungsfalls ex ante steigert (vgl. BGH VersR 2012, 1300 = r+s 2012, 489 Rn. 8.).
Zudem muss die Gefahrerhöhung nach Abgabe der Vertragserklärung eingetreten.
Konkret wird zu prüfen sein, ob sich aus einem Vergleich zwischen der Gefahrenlage, die bei Abgabe der Vertragserklärung durch den VN vorlag, und der Gefahrenlage, die aufgrund der in Frage stehenden Veränderung maßgebliche Umstände eingetreten sind, die den Eintritt eines versicherten Schadens wahrscheinlicher machen (vgl.BGH VersR 1979, 73, 74).
Bei der Prüfung sind alle objektive und erkennbare gefahrerheblichen Umstände zu berücksichtigen (vgl. BGH VersR 2010, 944). Zudem muss die Veränderung nach der Risikokalkulation des VR relevant sein. Der Bundesgerichtshof bejaht eine relevante Veränderung, wenn der VR den Vertrag bei der neuen Gefahrenlage überhaupt nicht oder jedenfalls nicht zu der vereinbarten Prämie abgeschlossen hätte (vgl. BGH VersR 2005, 218, 219).
Zu beachten ist bei der Prüfung, dass man nicht auf einzelne gefahrerhebliche Umstände abgestellt. Es kommt vielmehr darauf
an, wie sich die Gefahrenlage im Ganzen seit der Erklärung des VN entwickelt hat. Sind außer den gefahrerhöhenden auch gefahrmindernde Umstände
eingetreten, ist eine umfassende Abwägung im Einzelfall erforderlich
Zudem wird gefordert, dass die Gefahrenlage von einer gewissen Dauer ist.
Nach einer in der Rspr. verbreiteten Formulierung muss der neue Zustand erhöhter Gefahr mindestens von einer solchen Dauer sein, dass er die Grundlage eines neuen natürlichen Gefahrenablaufs bilden kann, und so den Eintritt des Versicherungsfalls zu fördern geeignet ist (vgl. VersR 2010, 1032 Rn. 16; BGH VersR 2012, 1300 Rn. 11; VersR 2014, 1313 Rn. 17; OLG Köln VersR 2016, 845, 847; VersR 2016, 1435, 1437).
Es kommt also nicht auf eine kurze Gefahrerhöhung (Trunkenheitsfahrt, verlassen der Wohnung etc.) an.
Beispiele aus der Praxis
Gebäude,- und Feuerversicherung
Hier wurde eine Gefahrerhöhung bei
- längerem Leerstand
- Lagerung von entzündbaren Material
- Nutzungsänderung (KfZ- Werkstatt wird als Bordell genutzt
- Längeres brennen lassen von Kerzen, weil der Stromanschluss gesperrt wurde
- Ernsthafte Drohungen das Gebäude in Brand zu setzen oder in die Luft zu jagen
Einbruchdiebstahlversicherung
Hier wurde eine Gefahrerhöhung angenommen,
- weil das Gebäude über längere Zeit durch ein Gerüst verdeckt war
- das Sicherheitssstem wegen längerer Sanierungsarbeiten ausgeschaltet war
- die Alarmanlage wegen eines Defektes über einen längeren Zeitraum ausgeschaltet war
Hausratsversicherung
Hier wurde eine Gefahrerhöhung angenommen,
- weil der Keller als Drogenlabor genutzt worden ist.
Kraftfahrtversicherung
Hier wurde eine Gefahrerhöhung angenommen,
- bei längerer Fahrt mit defekten Bremsen
- wiederholtes Fahren unter Alkoholeinfluss
- wiederholtes Fahren / fahren lassen ohne Führerschein
- das tunen eines PKW um die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu übertreffen
- das frisieren einer Mofas
Kaskoversicherung
Hier wurde eine Gefahrerhöhung angenommen,
- weil der Zweitschlüssel dauerhaft im Inneren des Fahrzeugs aufbewahrt worden ist.
Die gesetzlichen Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit einer Gefahrerhöhung
Bei den §§ 23 ff. VVG handelt es sich um gesetzliche Obliegenheiten. Das bedeutet, der Versicherer hat weder einen Unterlassungsanspruch noch kann er aus der Verletzung der Obliegenheiten einen Schadensersatz herleiten. Vielmehr sind die Rechtsfolgen bei einer Verletzung der Obliegenheiten in den §§ 23 ff. VVG abschließend geregelt.
Die Obliegenheit (Verhaltenspflicht) des Versicherungsnehmers besteht darin,
- das er eine Gefahrerhöhung ohne Zustimmung des VR nicht herbeiführen darf
- das er eine Gefahrerhöhung nicht dulden darf
- das er eine Gefahrerhöhung seinem VR unverzüglich anzeigt
Wichtig. Das Wissen und Handeln etwaiger zurechenbarer Personen (zB. Repräsentant, Versicherte Person) wird dem VN nach den üblichen Zurechnungskriterien zugerechnet.
Die Rechtsfolgen einer Gefahrerhöhung
Ist eine Gefahrerhöhung anzunehmen (die nicht unerheblich iSd. §27 VVG ist) und hat der Versicherungsnehmer diese nicht unverzüglich angezeigt, knöpfen sich hieran verschiedene Rechtsfolgen die der Versicherer unter bestimmten Vorraussetzungen ausüben kann.
Kündigung
Gemäß § 24 VVG steht dem VR ein Kündigungsrecht zu. Ihm steht somit die Möglichkeit zur Verfügung sich wegen der verschoben Gefahrenlage vom Vertrag für die Zukunft zu lösen.
Liegt grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vor, kann der VR den Versicherungsvertrag fristlos kündigen.
Bei Fahrlässigkeit beträgt die Kündigungsfrist einen Monat.
Vorliegend wird auch ohne Verschulden ein Kündigungsrecht (analog) angenommen um den Umstand Rechnung zu tragen, dass der VR das Risiko so nicht versichert hätte.
Das Kündigungsrecht erlischt jedoch, wenn der VR die Kündigung nicht binnen eines Monats (ab Kenntnis der Gefahrumstände) erklärt oder der VN den "ursprünglichen" Zustand wieder herstellt.
Vertragsanpassung
Gemäß § 25 VVG kann der Versicherer anstelle der Kündigung auch den Vertrag - also im Wesentlichen eine Prämienanpassung- entsprechend der neuen Gefahrenlage anpassen. Hier müssen die gleichen Voraussetzungen wie bei der Kündigung vorliegen.
Leistungsfreiheit
Neben der Kündigung kann der Versicherer auch für den konkreten Leistungsfall leistungsfrei werden.
Ist grobe Fahrlässigkeit (wird vermutet) anzunehmen, ist die Leistung der Schwere des Verschuldens nach zu quoteln.
Vorsatz ( muss der VR beweisen) kann hingegen zur gänzlichen Leistungsfreiheit führen.
Da der VN hier jedoch nicht schlechter gestellt werden darf, kommt es darauf an, dass der Versicherungsfall nach der fiktiven Kündigung eingetreten ist.
Sofern sich der VR auf Leistungsfreiheit / Leistungsreduzierung beruft, steht dem Versicherungsnehmer der Kausalitätsgegenbeweis als Verteidigung zur Verfügung. Hier muss er dann dann darlegen und beweisen, dass die Gefahrerhöhung für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht ursächlich war.